Deceptive Patterns in Videospielen
Videospiele sind längst mehr als ein Freizeittrend – sie sind Teil der Lebenswelt von fast allen Jugendlichen. Laut JIM-Studie (2024) spielen 94% der 12- bis 19-Jährigen regelmäßig digitale Spiele. Das bietet enormes Potenzial für Unterhaltung, Kreativität und Wettbewerb – aber leider auch für Manipulation. Denn was auf den ersten Blick wie ein harmloses Spiel aussieht, entpuppt sich oft als geschickt konstruiertes System zur Ausbeutung von Aufmerksamkeit, Zeit und Taschengeld.
Die Mittel dafür? Deceptive Patterns – auch bekannt als Dark Patterns. Diese sind ein Sammelbegriff für verschiedene, teilweise versteckte Taktiken, die Nutzende von Websites/Apps/Spielen zu einer Handlung bewegen sollen, die entgegen den eigenen Interessen geht.
Diese manipulativen Design-Tricks schleichen sich unbemerkt in den Spielfluss ein: Wartezeiten, die sich nur gegen Echtgeld verkürzen lassen, ständige Belohnungs-Pop Ups, gezielt platzierte Kauf-Buttons oder der psychologische Druck durch tägliche Challenges und künstlich erzeugte Verknappung von Shop-Items. Auch soziale Gruppendynamiken, mit seinen Freund:innen mithalten zu wollen und sich deshalb auch einen besonderen Skin für seinen Spielcharakter zu kaufen, darf nicht unterschätzt werden. Diese Mechanismen sind nicht nur nervig – sie sind problematisch. Vor allem, wenn junge Spielende nicht wissen, dass sie aktiv manipuliert werden.
Medienkompetenz-projekt „Unsere Spiele, Unsere Regeln!“
Genau hier setzt unser Medienkompetenz-Projekt „Unsere Spiele, unsere Regeln!“ an. Entwickelt und umgesetzt vom Kiel Gaming Port e.V., unserem medienpädagogisch aktiven, gemeinnützigen Verein, richtet sich das Projekt an Schulklassen. Die Idee ist unserem Mitglied Chris beim Austausch mit einem Kollegen und den Jugendlichen in einem Jugendtreff entstanden. Zu der Zeit wurde im Treff sehr viel Roblox gespielt, ein Spiel das mittlerweile ab 16 ist, wobei besonders die Mikrotransaktionen im Interesse der Kinder und Jugendlichen standen. Im Gespräch mit seinem Kollegen entstand dann die Idee für ein möglichst partizipatives Projekt zur Aufklärung über Deceptive Patterns in Videospielen.
Ziel unseres Projekts ist es, Jugendliche für diese Täuschungsmuster zu sensibilisieren sowie ihnen überhaupt die Möglichkeit zu geben, sich informiert und kritisch mit Dark Patterns in Videospielen auseinanderzusetzen und daraus eigene Entscheidungen treffen zu können. Und das nicht nur theoretisch – sondern direkt am Spiel, mit echter Praxis, echten Spielen, echten Erkenntnissen. Das Projekt wird gefördert von der MeKo-Förderung des Landes Schleswig-Holstein. Wir danken dem Offenen Kanal Schleswig-Holstein für die Auswahl unseres Projektes zur Förderung.
Interne Team-Fortbildung
Bereits im Vorfeld des Projekts war uns klar: Wenn wir mit Jugendlichen über Deceptive Patterns sprechen wollen, müssen wir selbst ganz genau wissen, wie diese funktionieren – und was sie mit uns machen. Deshalb haben wir uns mit dem Psychologen und Bildungsreferent für Medien und Games Dr. Benjamin Strobel einen Experten in dem Gebiet an Bord geholt, der unser Team im Rahmen eines eintägigen Workshops eingängig zu dem Thema Deceptive Patterns geschult hat.
In diesem Workshop hat uns Dr. Strobel eindrucksvoll vor Augen geführt, wie tiefgreifend und teilweise unsichtbar diese Täuschungsmuster in modernen Games verwoben sind. Von der psychologischen Wirkung von Belohnungsschleifen bis hin zur gezielten Frustrationstaktik, die In-Game-Käufe attraktiv macht – die Strategien der Entwickler:innen sind oft so subtil, dass selbst Erwachsene sie schwer durchschauen, wenn überhaupt.
Diese Erkenntnisse haben uns nicht nur in der Konzeption des Angebots bestärkt, sondern auch unser eigenes Medienbewusstsein geschärft. Wir danken Dr. Benjamin Strobel herzlich für den hilfreichen Workshop und freuen uns, dass wir unser eigenes Team mit Hilfe der Förderung nachhaltig weiterbilden können.
Ablauf des Workshop-Tages mit Schulklassen
Die Projekttage zu „Unsere Spiele, unsere Regeln!“ fanden direkt im Vereinsheim des Kiel Gaming Port in der Werftbahnstraße 8 statt – einem kreativen Raum mit Gaming-Stationen, Workshopflächen und viel Platz für Austausch und außerschulische Lernerlebnisse. Für die ersten drei Pilot-Durchführungen des Projekts durften wir jeweils eine achte Klasse der Heinrich-Heine-Schule, der Max-Planck-Schule sowie des Ernst-Barlach-Gymnasiums begrüßen.
Der Workshoptag startete jeweils mit einem interaktiven Impulsvortrag von Andreas Langer (Diplom-Medienpädagoge und Experte für Jugendmedienkultur), welchen wir ebenfalls als externen Experten für unser Projekt gewinnen konnten. Er erklärte den Schüler*innen, was Deceptive Patterns sind, welche Formen es gibt und warum sie so effektiv – und problematisch – sind. In knapp 60 Minuten schaffte er es, die Schüler:innen für das Thema zu begeistern und neugierig zu machen.
Nach einer kurzen Pause ging es dann in die Praxis: Die Schüler:innen bildeten kleine Gruppen und bekamen eine Auswahl an digitalen Spielen, die sie an verschiedenen Stationen testen durften. Ausgestattet mit speziell von uns entwickelten Fragebögen untersuchten sie, welche manipulativen Elemente sich im Spiel verstecken. Mit Hilfe eines Täuschungsindex hielten die Gruppen fest, in welchem Spiel welches Deceptive Pattern gefunden wurde. Unser Team begleitete die Gruppen, gab Hinweise, beantwortete Fragen und motivierte zum kritischen Blick.
Zur Mittagspause durften wir uns gemeinsam über frisch gekochtes Essen und ein kleines Bewegungsangebot in Anlehnung an unseren Ausgleichssport im Rahmen der E-Sport AGs freuen. Gesunder Umgang mit Games bedeutet bei uns immer auch: Pausen machen, sich bewegen, soziale Interaktion fördern.
Im zweiten Teil des Tages fand die Auswertung statt. In der Gruppenphase wurden die Schüler*innen neu gemischt und die Erkenntnisse aus der Spielephase zusammengetragen und diskutiert. In diesen Gruppen machten sich die Schüler:innen außerdem Gedanken dazu, ob und wie sie sich durch die Patterns beeinflussen lassen, wie sie sich damit fühlen und was sie als Appell an die Spieleindustrie oder andere Organisationen mitgeben möchten. Diese Ergebnisse wurden schließlich in großer Runde vorgestellt und abschließend gemeinsam betrachtet.
Parallel zum normalen Workshop-Tag haben wir noch ein weiteres interaktives Angebot durchgeführt, das den Teilnehmenden praxisnah einige Deceptive Patterns vorführen soll, um gleichzeitig zu verdeutlichen, dass diese psychologischen Tricks auch abseits der Videospielwelt Anwendung finden. Zu Beginn des Tages bekamen alle Schüler:innen 5 Port-Bux (fiktive Währung) überreicht, mit denen sie in unserem Port-Shop diverse Produkte (z.B. Snacks, Getränke, Merch) kaufen konnten. Der Shop hatte ein abwechselndes Angebot mit Rabatten und Bundles. Das Shop-System parodiert typische In-Game-Ökonomien – und macht das Thema Mikrotransaktionen auf spielerische Weise greifbar.
Auswertung und Ausblick
Am Ende des Tages hängen dutzende Zettel an den Wänden, voll mit Beobachtungen, Bewertungen und Erkenntnissen. Die Schüler:innen haben nicht nur gelernt, was Deceptive Patterns sind – sie haben sie selbst enttarnt. Sie haben erfahren, dass Medienkompetenz mehr ist als reines Wissen: Es ist auch die Fähigkeit zur Reflexion, zur Kritik – und zur Selbstbestimmung.
In den Bildern ist eine Auswertung des Täuschungsindex zu finden. Diese bietet einen kleinen Eindruck, welche und wie viele Deceptive Patterns in den ausgewählten Spielen von den Schüler*innen erkannt wurden. Da nicht alle Spiele von der gleichen Anzahl an Gruppen gespielt wurden, sind die Ergebnisse der Spiele nicht untereinander vergleichbar. Die Ergebnisse bilden keine wissenschaftliche Genauigkeit, sondern zeigen ausschließlich einen Eindruck des Workshops.
Auch für uns als Team waren die Workshop-Tage ein voller Erfolg. Besonders gefreut hat uns das positive Feedback der Lehrkräfte, das gezeigt hat, wie wertvoll unser Angebot wahrgenommen wurde. Die Schüler:innen selbst zeigten sich motiviert, interessiert und aufmerksam – ein deutliches Zeichen dafür, dass das Thema sie nicht nur betrifft, sondern auch wirklich erreicht.
Unsere inhaltliche und organisatorische Struktur hat reibungslos funktioniert und sich in der Praxis bewährt. Ein besonderes Highlight war für viele der Port-Shop, der nicht nur Spaß gemacht hat, sondern das Thema Mikrotransaktionen ganz konkret erfahrbar werden ließ. Überraschend spannend war zudem die Beobachtung, wie gut die Schüler*innen eigene manipulative Mechaniken im Port-Shop erkannt und benannt haben.
Natürlich haben wir auch für die Entwicklung des Angebotes einiges mitgenommen: Für manche Gruppen war der Tag etwas lang – hier denken wir für zukünftige Termine über die Komprimierung der Workshop-Länge nach. Auch die Unterscheidung der verschiedenen Arten von Deceptive Patterns fiel nicht allen leicht, weshalb wir unser didaktisches Material weiter ausbauen möchten. Wir haben außerdem gemerkt, dass unser Shop-Inventar in Zukunft noch gezielter auf die Interessen der Teilnehmenden abgestimmt werden könnte.
Wie geht es weiter?
Das Projekt „Unsere Spiele, unsere Regeln!“ ist auf Wiederholung und Skalierbarkeit ausgelegt. Gerne möchten wir dieses weiterführen und sind aktuell auf der Suche nach weiteren finanziellen Fördermöglichkeiten. Du bist Lehrkraft und willst mit deiner Klasse teilnehmen? Schreib uns! Du willst Projekte wie dieses fördern? Wir freuen uns über Unterstützung und neue Partnerschaften!
Danke an alle Beteiligten – unsere externen Experten Dr. Benjamin Strobel und Andreas Langer, unsere Unterstützer:innen aus der Kulturschmiede W8, den Offenen Kanal Kiel für das Ausleihen der Tablets – und natürlich an alle Schüler:innen, die diese Tage mit Leben gefüllt haben.